„Ferienimmobilien seit jeher stabil“

... so heißt es oft, aber was steckt dahinter? Inwiefern sind Ferien­immobilien als Wertobjekte über die Zeit stabil gewesen, was passierte während der Wirtschaftskrisen oder Weltkriege? Wir haben Dr. Wolf Karge gefragt, Historiker und Experte für die Entwicklung des Tourismus an der Ostsee.


1929 – die Seebrücke von Kühlungsborn wurde nach endgültiger Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erst 1991 wieder aufgebaut. © historische-bilder.com

Herr Dr. Karge, wie hat es angefangen, seit wann gibt es Ferienimmobilien an der Ostsee?

Das Ferienleben ist seit der Industrialisierung ein wesentlicher Bestandteil der Gesellschaft. An der Ostsee begann es schon um ca. 1800, hat sich aber erst ab 1880 professionalisiert. Etwa ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stiegen die Zahlen der Badegäste stark an. Das lag am wirtschaftlichen Aufschwung und der neuen Sozialgesetzgebung, die es auch den kleineren Leuten und Angestellten erlaubte, Urlaub zu nehmen. Die „Gründerjahre“ waren für viele eine Wohlstandszeit, in der ein neuer Wirtschaftszweig, die Ferienvermietung, entstand. Überall wurden jetzt die ersten Fremdenverkehrsvereine gegründet.

Dann kam der Erste Weltkrieg. Was geschah mit den Hotels, Pensionen und Zimmervermietungen?

Interessanterweise nicht viel: Das Badeleben ist nicht eingebrochen. Das lag vor allem daran, dass der Erste Weltkrieg nicht auf deutschem Boden stattfand. Das Leben in Deutschland ging einfach weiter, auch beim Tourismus. Nur direkt nach Kriegsausbruch gab es eine Zäsur. Der eigentliche Einbruch kam erst nach dem Krieg, weil schlicht kein Geld mehr da war. Die Immobilien wurden nun teils verkauft, meist aber einfach von den Privateigentümern weitergeführt. Denn auch in diesen Zeiten brauchte man die Ferienimmobilien, etwa, indem man sie in Kindererholungsheime umfunktionierte, später für Kriegsversehrte und Kranke. Viele Menschen litten unter Tuberkulose. Die meisten Ferienvermieter haben sich so über Wasser halten können, und schon um 1920 startete das Badeleben erneut.

Und während der nachfolgenden Inflation und Wirtschaftskrise?

Durch die Hyperinflation 1923 wurde einiges durcheinandergebracht. Gerade etliche jener Gastgewerbe, die eigentlich insolvent waren und hohe Hypothekenlasten hatten, konnten sich nun sanieren. Aber auch dies war nur eine vorübergehende Phase von ca. 12, teils 24 Monaten, die den Ferienbetrieb nicht lange zurückwerfen konnte. Während der Weltwirtschaftskrise ab 1929 bis etwa 1936 wirkte sich die hohe Arbeitslosigkeit zwar auf den Urlaubstourismus aus, ein schwerer Einbruch lässt sich aber nicht feststellen.

Wie kam es zur nächsten Veränderung?

Mit dem Zweiten Weltkrieg und politischen Maßnahmen. Beides führte dazu, dass das Badeleben vollständig zusammenbrach und durch Naziorganisationen wie KDF – „Kraft durch Freude“ – übernommen wurde. Vieles hat man umgenutzt wie Heiligendamm, das zur Kriegsmarineschule wurde. Andere Ob­jekte dienten als Erholungsheime im Sinne
einer „Massen-Regenerationsmaschinerie“. Einige Fe­rienbetriebe bestanden weiter, wurden aber komplett von Nazi-Organisationen gebucht. Diese Betriebe sind weder pleite gegangen noch enteignet worden.

Was geschah in DDR-Zeiten?

Nach dem verlorenen Krieg sind die meisten Ferienimmobilien wieder an ihre Besitzer zurückgegeben worden. Damit blieb die private Vermietungsstruktur zunächst erhalten – bis der DDR-Staat 1953 die „Aktion Rose“ initiierte, durch die die private Hotellerie und Gastronomie entlang der Küste systematisch enteignet wurden. Unter fadenscheinigen Begründungen: etwa, weil man eine Zuckertüte zu viel im Haushaltslager gefunden hatte. Eigentümer wurden inhaftiert, einige entlassen, viele wanderten in den Westen ab. In der Zwischenzeit hatte der FDGB-Feriendienst fast alle Objekte übernommen. Trotzdem gab es weiterhin auch private Vermietungen: Man machte in der Sommersaison Platz für die Gäste und bot, so ein geflügeltes Wort dieser Zeit, „Hühnerställe mit Gardinen“.

Und nach der Wende?

Sämtliche Ferienobjekte, die durch die „Aktion Rose“ enteignet worden waren, sind zurückgegeben worden. Und seit Anfang der 90er-Jahre sind die Gästezahlen immer weiter angewachsen bis zum heutigen Boom. Insofern kann man feststellen, dass die Tourismuswirtschaft – trotz Rückschlägen – seit ihren Anfängen stetig gewachsen ist. Auch unter Corona haben viele Eigentümer die weniger lukrativen Zeiten genutzt, um ihre Ferienobjekte für die Zukunft zu modernisieren. Bereits im Sommer 2021 erzielten die Gästezahlen wieder neue Rekordwerte. Die Sehnsucht nach Erholung ist eben ungebrochen.

 

 

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Dr. Wolf Karge, Historiker & Publizist © Dr. Wolf Karge

ist Historiker & Publizist. Er war lange Zeit Mitglied und Sprecher im Kulturbeirat des Ministers für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern. Heute ist er Experte für die Geschichte des Landes. Er war Lehrbeauftragter an den Universitäten Rostock und Lüneburg und Berater der Europäischen Kommission für Kulturprojekte. Er ist Ehrenvorsitzender des Museumsverbandes in Mecklenburg-Vorpommern.



1830 - Heiligendamm, der älteste Seebadeort Deutschlands und Kontinentaleuropas, bereits 1793 erfolgte die Gründung. © istockphoto/malerapaso

 


1920 – Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist der Strandkorb in deutschen Seebädern populär. © imageBROKER/ Alamy Stock Photo

 


1920er – Badenixen kommen auf – und damit das moderne Badeleben. Bis zum Ersten Weltkrieg badeten die Damen noch separiert und mit viel Stoff. © KGPA Ltd/Alamy Stock Photo

 


1929 – die Seebrücke von Kühlungsborn wurde nach endgültiger Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erst 1991 wieder aufgebaut. © historische-bilder.com

 


1933 – Das ehemalige Hotel Kasch in Niendorf / Timmendorfer Strand, heute steht dort ein neues Gebäude. © Gemeindearchiv Timmendorfer Strand

 


1960 – Familienurlaub im Seebad Heiligendamm. © historische-bilder.com